Tierärzt*innen haben vermutlich von Berufswegen ein Herz für Tiere. Folglich müssten diese auch dem Veganismus zugeneigt sein – oder? Ob das so ist und welche Erfahrungen man in der Branche so macht, habe ich eine vegane Tierärztin (Ella) gefragt.
Tierärztin Ella ist 26 Jahre jung, lebt seit 2017 vegan (vegetarisch seit sie 12 ist) und kommt ursprünglich aus der Nähe von Dortmund.
Bevor die junge Frau Veterinärmedizin in Berlin studierte, arbeitete sie ein Jahr lang auf dem Gnadenhof „Gut Aiderbichl“. Aktuell lebt Ella nun seit Juli 2023 im Raum Salzburg und ist hier auch als Tierärztin für Kleintiere und Wiederkäuer tätig.
Ella’s Lieblingstiere? Schweine! 🐷 Hier das Interview:
1. Wie stehen Tierärzt*innen zum Thema Veganismus?
Ella: Das Berufsbild selbst ist nicht vegan, was alleine schon daran liegt, dass Tierarzt:innen nicht nur in der kleinen Praxis auf dem Land oder der großen Stadt-Klinik arbeiten sondern genau so auf Schlachthöfen, sowie in der Milch- & Fleischproduktion gebraucht werden.
Ich bin sicher, dass man diesen Beruf nur ausübt, wenn man Tiere gern & das Bedürfnis hat, ihnen zu helfen. Aber so wie überall in unserer Gesellschaft reicht Tierliebe oft nicht aus, um die Konsequenz zu ziehen vegan zu leben, da dazu noch einiges mehr gehört – wie zum Beispiel, die innere Einstellung, dass Tiere grundlegend nicht dafür da sind, uns zu ernähren.
2. Welche prägenden, vegan relevanten Erfahrungen hast du als Tierärztin bereits gemacht?
Ella:
– Teil des Studiums ist ein 3wöchiges Pflichtpraktikum auf dem Schlachthof. Meines war auf einem mittelgroßen Betrieb in Deutschland, auf dem sie ca. 7000 Schweine täglich schlachten. Zu dem Zeitpunkt habe ich bereits 6 Jahre vegan gelebt.
– Schlimmer als diese Szenen, die man immerhin aus dem Internet, aus Videos und Filmen kennt, waren aber die Erfahrungen in einem vierwöchigen Wahl-Praktikum, dass ich in einer Praxis für Schweine absolvierte. In den Wochen besuchte ich zahlreiche Schweinebetriebe in Niedersachsen und wenn man einen halbwegs repräsentativen Eindruck vom Alltag in einem recht sauberen durchschnittlichen Betrieb in Deutschland erhalten möchte, empfehle ich an der Stelle die Dokumentation von Robert Marc Lehmann aus dem November 2023.
– Vegan relevant sind aber auch die Dinge, die einem alltäglich in der Kleintierpraxis begegnen. Ob Hund, Katze oder noch schlimmer, Kaninchen oder Hamster, auch diese Tiere leiden derart unter dem Menschen und vor allem dessen Ahnungslosigkeit, dass es einem von Zeit zu Zeit die Tränen in die Augen treibt. Auch wenn man mit der Zeit abhärtet, man steht trotzdem regelmäßig da und fühlt sich machtlos in Anbetracht der Ausmaße an Leiden.
3. Wie entscheidend ist eine vegane Lebensweise für die Gesundheit von Tieren?
Ella: Natürlich gibt es die offensichtlichen Auswirkungen, dass eine vollkommen vegane Lebensweise die ganze Fleisch- und Milchindustrie scheitern lassen würde und somit all das Leid dahinter nicht mehr stattfindet. Tiere, die nicht existieren (denn sie werden in unserer Gesellschaft nunmal nur dafür produziert…), können nicht leiden bzw. krank werden.
Wenn man durch eine vegane Lebensweise auch aufhört, Pferde zu nutzen, bricht auch dieser Sektor ein und man würde keine horrormäßigen Verletzungen im Pferdesport mehr beobachten können.
Und wenn dann zuletzt auch noch aufgehört werden würde, die kleinen Tiere zu egoistischen Zwecken (Gesellschaft, Kinderbespaßung, Wettbewerb, Kindersatz,…) zu halten und an den Menschen zu binden, wäre das im Großen und Ganzen natürlich auch „gesund“ für sie.
4. Was ist deine Meinung zu veganer Tiernahrung?
Ella: Es ist nicht so einfach, man muss gut aufpassen, sich einlesen. Ähnlich wie beim Barfen müssen die Portionen gut auf den jeweiligen Hund abgestimmt werden, zumindest anfangs sollte am besten externe Hilfe in Anspruch genommen werden. Noch wichtiger, wenn es sich um ein junges Tier im Wachstum oder ein krankes Tier handelt.
Es gibt immer mehr vegane Alleinfuttermittel auf dem Markt, die die vegane Hundeernährung um einiges erleichtern, aber man muss ganz genau drauf schauen, was wovon und wie viel drin ist. Das sollte man aber sowieso mit jedem Alleinfuttermittel machen.
Und wichtig: Ich spreche hier nur von Hunden. Katzen vegan zu ernähren lehne ich allerdings ab.*
5. Welche Message hast du an Tierhalter*innen bzw. generell an die Menschheit?
Ella: Vegan zu leben ist, wie alles im Leben, anfangs eine enorme Umstellung, wo Fehler passieren und Rückschritte, und die vor allem viel Geduld und Zeit braucht. Es ist kein „entweder 100% oder gar nicht“ – jede Mahlzeit, bei der das Fleisch weggelassen, jeder Kaffee der dann doch mit Hafermilch getrunken wird ist schon wertvoll, so klein sich die Geste auch anfühlt.
Wichtig ist, mit sich selbst im Reinen zu sein. Ist Veganismus für mich „nur“ die Ernährung? Möchte ich generell keine Tiere ausbeuten und schließe deshalb auch den Reitsport aus? Oder gehe ich noch einen Schritt weiter und denke dabei an Hunde vom Züchter (nichts anderes als Produktion), Kaninchen, denen wider ihrer Natur der Kontakt zum Menschen aufgezwungen wird, Katzen, die keinen Schritt aus der Wohnung setzen dürfen,…
Ist am Ende am meisten vegan, wer keinerlei Kontakt zum Tier sucht, wenn es nicht sein muss? Wo beginnt und endet mein Veganismus?
Danke Ella für deine Zeit und das spannende Interview!
Ella in Action
Hier noch ein paar Fotos von Ella und ihre tierischen Freunde:
* Nachsatz zum Thema vegane Katzenernährung
Bene: Die pflanzliche Ernährung von Katzen ist nach wie vor ein kontroverses Thema [vgl. 1, 2], hier noch kurz meine Einschätzung dazu:
Es gibt bereits zahlreiche vegane Katzenfutter am Markt und auch die Forschung schreitet auf diesem Gebiet nach meinem Empfinden voran, die aktuelle Datenlage scheint jedoch sehr überschaubar zu sein [vgl. 6].
Dennoch gibt vor allem eine (recht aktuelle) Studie zu diesem Thema, welche die vegane Ernährung von Katzen als durchführbar oder sogar vorteilhaft vermuten lässt [vgl. 3, 4]. Nach meinen Recherchen gibt es jedoch aktuell keine Studien bzw. Langzeitstudien, welche wirklich belastbar wären [vgl. 6].
Ich bin (noch) kein Experte auf diesem Gebiet, was ich mir aber auf jedem Fall für die Zukunft vorstellen könnte, ist Katzenfutter aus Labor- bzw. In-vitro-Fleisch [vgl. 6]. Also mir fällt zumindest nichts ein, was dagegen spricht, falls die Herstellung ethisch vertretbar bzw. vegan erfolgt. Die Qualität dieses Fleisches wäre nach meiner Einschätzung sogar besser als gängiges Katzenfutter und aus ethischer Sicht natürlich vorteilhaft.
Auch hinsichtlich Treibhausgasemissionen bzw. Klimaschutz wäre (bzw. ist) veganes Katzenfutter natürlich im Vorteil, sieht man sich den aktuellen Fußabdruck von Tierfutter an [vgl. 5, 7]. (im Falle von Laborfleisch müsste man jedoch die Energiebilanz der Herstellung verbessern – was meiner Einschätzung nach in Zukunft passieren wird)
Kurzfazit: Man sollte sich zu diesem Thema ausreichend und bei verschiedenen Quellen informieren (und beraten lassen), möchte man seine Stubentiger pflanzlich verköstigen [vgl. 2] + die Zukunft wird weitere Fortschritte/Erkenntnisse bringen.
War jetzt doch etwas länger als geplant, sorry! 😉
Quellen
[1]: https://www.nationalgeographic.de/tiere/2023/09/veganes-futter-haustier-brauchen-katzen-fleisch
[2]: https://www.tiermedizinportal.de/ernaehrung/vegetarische-und-vegane-katzenernahrung
[3]: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0284132
[4]: https://www.vegan.at/inhalt/diplomarbeit-uber-vegane-hunde-und-katzenernahrung
[5]: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0959378020307366
[6]: https://www.koelle-zoo.at/blog/katze/ernaehrung/katze-vegan-ernaehren-geht-das/
[7]: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37792712/
Seit ein paar Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Veganismus und dessen Auswirkung auf Tiere, Umwelt und Gesundheit. Ich mache mir gerne Gedanken über philosophische Themen, bin aber auch sehr gerne mal faul und regelmäßig auf meiner Couch zu finden. Eine große Tasse Kaffee (mit Sojamilch 😉) und ein guter Film an einem Sonntagvormittag – was will man mehr? ☕🛋
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